Der Tafelladen in Bad Mergentheim

Soziale Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen

BAD MERGENTHEIM (SH). Der Tafelladen in Bad Mergentheim ist den meisten Menschen ein Begriff. Wie alles organisiert wird und wer berechtigt ist, dort einzukaufen, wissen allerdings die wenigsten. BlickLokal hat deshalb bei Volker Herm nachgefragt. Er zeichnet beim Diakonischen Werk Main-Tauber-Kreis für die Leitung der Tafelarbeit verantwortlich.

BlickLokal: Herr Herm, seit wann gibt es den Tafelladen in Bad Mergentheim?

Volker Herm: Durch eine private Initiative wurde die Tafel 2006 ins Leben gerufen. Anfänglich holten 10 Personen die Lebensmittel noch mit Privatwagen ab. Die Ausgabestelle befand sich im Garten der Kapuzinermönche. Da es aber ohne offiziellen Träger für einen Privatverein schwierig war, geeignete Räume zu finden oder die notwendigen Gelder für die Startphase bereitzustellen, stieg nach einem Jahr das Diakonische Werk im Main-Tauber-Kreis als Träger ein. Damit startete 2007 die Tafel Bad Mergentheim offiziell.

BlickLokal: Arbeiten alle Mitarbeiter ehrenamtlich? Falls ja, wie viele ehrenamtliche Mitarbeiter sind in Bad Mergentheim beschäftigt? Brauchen Sie aktuell weitere Ehrenamtliche?
Volker Herm: Die Tafelarbeit in Bad Mergentheim wird von ca. 50 ehrenamtlichen Helferinnen (80 Prozent) und Helfern (20 Prozent) geleistet. Zusätzlich unterstützen ein Fahrer, eine Reinigungskraft und die Tafelkoordination, die jeweils stundenweise für die Tafel Bad Mergentheim angestellt sind.
Neue ehrenamtliche Mitarbeiter/-innen sind jederzeit herzlich willkommen. Jede/-r Interessierte kann sich mit seinen Fähigkeiten einbringen – sei es im Verkauf, beim Sortieren der Waren oder im Fahrdienst.

BlickLokal: Was bewegt Ihre Mitarbeiter für die Tafel zu arbeiten?

Volker Herm: Fragt man die Kolleg/-innen so antworten die meisten etwa Folgendes: Soziale Verantwortung für die Gemeinschaft, Haltung zum Umgang mit Lebensmitteln, Dankbarkeit für die eigene „gute Lage“, die Gemeinschaft mit netten Menschen und eine sinnvolle Tätigkeit.

BlickLokal: Welche Waren bekommen Ihre Kunden bei Ihnen?

Volker Herm: Die Tafel sammelt überschüssige Lebensmittel ein, bewahrt diese damit vor der Vernichtung und gibt die qualitativ und einwandfrei zu verwertende Menge an die Kunden ab.
Anders bei Hygieneartikeln oder Gütern ohne Haltbarkeitsdatum: diese stammen häufig aus Spenden, von Sonderaktionen oder Übermengen der Logistikzentren.

BlickLokal: In anderen Städten gibt es immer mal wieder Gerüchte, es würden im Tafelladen auch Personen einkaufen, denen es eigentlich finanziell gut geht. Wie wird im Tafelladen in Bad Mergentheim gewährleistet und kontrolliert, dass wirklich ausschließlich bedürftige Menschen einkaufen können?

Volker Herm: Einkaufen kann in der Tafel, wer eine Kundenkarte erhält. Diese berechtigt zum Einkauf in allen Tafeln des Main-Tauber-Kreises und den Kleiderkammern bzw. -läden. Die Prüfung der Berechtigung und der Nachweis dafür kann in den Beratungsstellen des Diakonischen Werkes, der Caritas, der Jugendhilfe Creglingen, des DRKs und bei den Sozialämtern erfolgen.

BlickLokal: Woher beziehen Sie die Lebensmittel?

Volker Herm: Den weitaus größten Teil bekommt die Tafel Bad Mergentheim durch unsere ortsnahen Partner (Bäckereien, Discounter, Supermärkte …) Über den Bundes- und Landesverband der Tafeln haben wir Zugriff auf Spenden der Lebensmittelindustrie und des Handels. Durch die Tafellogistik werden diese dann bis zum jeweiligen Tafelladen transportiert. Durch geplante und bereits eingeleitete Veränderungen im Handel werden die Filialen zukünftig allerdings weniger Übermengen zur Abgabe haben. Daher erhält voraussichtlich der Weg über die Tafellogistik eine größere Bedeutung, was wiederum Veränderungen und Kosten im Fuhrpark, den Lagerkapazitäten, der Kühltechnik und beim Personal hervorruft. Die Tafeln benötigen daher auch Unterstützung durch die öffentliche Hand.
BlickLokal: Warum kommen die Menschen zu Ihnen? In welchen Situationen befinden sie sich beispielsweise?
Volker Herm: Die Gründe für Armut sind vielfältig: Es gibt ältere Menschen mit kleiner Rente, Alleinerziehende, Menschen, die durch Krankheit ihre Arbeit verloren haben und Familien, deren Einkommen trotz Erwerbsarbeit so gering ist, dass es nicht ausreicht, den Lebensunterhalt zu decken. Eine weitere große Gruppe stellten in der Vergangenheit diejenigen Spätaussiedler/-innen, denen aufgrund von Sprachdefiziten der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht gelungen ist. Ähnliches wiederholt sich nun seit 2015 mit den Flüchtlingen, wobei erfreulicherweise aktuell ein deutlicher Zugang dieses Personenkreises in den Arbeitsmarkt festzustellen ist. Einige Kunden benötigen die Hilfe der Tafel nur vorübergehend – bis sie ihre Notlage überwunden haben. Andere sind gezwungen dieses Angebot längerfristig zu nutzen. Viele der Menschen, die nach den Kriterien zum Einkauf in den Tafeln berechtigt wären, sind aber entweder aus Scham oder auch wegen der mangelhaften öffentlichen Verkehrsverbindungen nicht in der Lage, das Angebot der Tafeln wahrzunehmen.
BlickLokal: Manche Personen schämen sich dafür, wenig Mittel zu besitzen und scheuen deshalb allgemein Hilfe anzunehmen bzw. z.B. in den Tafelladen zu gehen. Was möchten Sie diesen Menschen entgegnen?
Volker Herm: Niemand muss sich schämen im Tafelladen einzukaufen! Für uns sind es Kunden in einer speziellen Lebenssituation. Wenn Scham im Zusammenhang mit Tafeln eine Bedeutung hat, dann die Scham unserer „reichen Gesellschaft“, die es zulässt, dass Menschen unser Angebot brauchen.

BlickLokal: Es gibt staatliche Leistungen (z.B. Hartz IV). Reicht den Menschen die staatliche Versorgung nicht aus, um ihre Versorgung mit Lebensmittel zu gewährleisten? Nimmt die Tafel hier gar eine Funktion ein, die eigentlich der Staat zu erfüllen hätte? Welche politischen Maßnahmen bzw. gesellschaftlichen Veränderungen würden Ihre Arbeit erleichtern und die Situation für Bedürftige verbessern?

Volker Herm: Die Tafeln und die häufig als Träger fungierenden Wohlfahrtseinrichtungen machen immer wieder auf die Lücken in der Grundversorgung aufmerksam und fordern Nachbesserung.

BlickLokal: Initiiert die Tafel Bad Mergentheim auch extra Projekte oder veranstaltet kleine Feste?

Volker Herm: Dank der Arbeit des Fördervereins der Tafel Bad Mergentheim haben ein jährlicher Helfer/-innen-Ausflug und ein Dankeschön-Essen Tradition. Für unsere Kunden gibt es den „Mittagstisch plus“, initiiert und finanziert vom Unternehmer Ludwig Fleckenstein, bei dem Bedürftige aus Bad Mergentheim wöchentlich ein gutes Mittagessen einnehmen können. An Spender/-innen gerichtet gibt es Sammelaktionen für haltbare Lebensmittel wie „Kauf‘ eins mehr“ oder die REWE-Tüten, bei denen Menschen ihre Einkäufe zugunsten der Tafelarbeit aufstocken können.

BlickLokal: Wie kam es zur Gründung der Tafeln in Deutschland?

Volker Herm: 1993 wurde in Berlin die erste Tafel gegründet. Mittlerweile geben 60.000 Tafel-Engagierte in über 940 Tafeln gespendete Lebensmittel an 1,5 Millionen bedürftige Menschen weiter. Nach 25 Jahren hat sich das Selbstverständnis der Tafeln gewandelt. Der ursprüngliche Leitgedanke, sich selbst bzw. die Notwendigkeit die Tafelarbeit, abzuschaffen, hat sich leider bislang nicht umsetzten lassen. Es ist vielmehr Aufgabe von Gesellschaft und Politik, Lebensmittelverschwendung und Armut abzuschaffen. Solange dies nicht geschehen ist, wird es Tafeln weiterhin geben.

BlickLokal: Wie kann man die Tafeln als Privatperson unterstützen?

Volker Herm: Neben der Zeitspende als ehrenamtlicher Helfer, geht dies durch Warenspenden, Mitgliedschaft im oder Spenden an den Förderverein der Tafel Bad Mergentheim
Spendenkonten:
IBAN Sparkasse: DE32 6735 2565 0001 0608 96
IBAN Volksbank: DE90 6739 0000 0086 5978 02
Oder auch: Sie haben eigentlich alles und bekommen zum Geburtstag immer die gleichen Geschenke? Bitten Sie doch Ihre Liebsten, dieses Mal auf Geschenke zu verzichten und die gesparte Summe stattdessen an die Tafeln zu spenden. In Lidl-Märkten stehen Pfandautomaten, mit denen Sie unkompliziert an die Tafeln spenden können. Nutzen Sie doch bei Ihrer nächsten Pfandrückgabe diese Möglichkeit – damit unterstützen Sie auf einfachem Weg die Arbeit der Tafeln.
BlickLokal: Vielen Dank für das Interview!

 

 

 

 

(Von links) Monika Wokal (Mitglied der ehrenamtlichen Tafelleitung) und die langjährige Helferin Helga Buhmann.

 

 

 

 

Info:
Das Diakonische Werk im Main-Tauber-Kreis ist eine soziale Einrichtung der evangelischen Kirchenbezirke im Main-Tauber-Kreis. An zehn Standorten stehen über 60 hauptamtliche Fachkräfte und rund 180 ehrenamtliche Mitarbeiter Seite an Seite mit Ratsuchenden. Dabei bilden Anlaufstellen bei Fragen zu Schwangerschaft und Geburt, zu Flucht und Migration sowie Sozialberatung und Hilfe bei Krisen im Leben den Schwerpunkt der Arbeit. Fachdienste wie Sucht- oder Schuldnerberatung ergänzen das Angebot. Darüber hinaus ist das Diakonische Werk anerkannter Träger der Jugendhilfe sowie Betreiber dreier Tafelläden und eines Kleiderladens. Die Anfänge der diakonischen Arbeit im Main-Tauber-Kreis gehen zurück auf das Jahr 1948.