Königshofen. Königshofen, die Messestadt in der Mitte des Taubertals, blickt auf eine lange Geschichte zurück. Einer der dunkelsten Tage in der Historie des Ortes war der 01.April 1945. In den letzten Wochen des 2. Weltkrieges hatten sich deutsche Soldaten in Königshofen einquartiert, die Vorgabe lautete den Ort um jeden Preis zu verteidigen. Dagegen gingen die Amerikaner an diesem Ostersonntag mit einem starken Bombardement vor, am Ende des Tages lag ein großer Teil des Ortes in Schutt und Asche. Wie sah eine Kindheit in diesen Zeiten aus? Wie lebte und überlebte man? BlickLokal sprach mit der Königshöferin M. Hofmann über ihre Kindheitserinnerungen.
Die Kindheit der Ende der 1930-er Jahre geborenen Königshöferin war geprägt von der heimischen Landwirtschaft. Der Vater arbeitete zusätzlich zeitweise in einem Laudaer Ziegelwerk, auch nahm er immer wieder Lohnarbeiten an, um die Familie über die Runden zu bringen. Nebenher übernahm die Familie auch die Betreuung des Königshöfer Milchhäusle. „Dort lieferten die Bauern morgens und abends ihre Milch an. Privatleute konnten sich dann ihre Milch in Flaschen abfüllen,“ erzählt Frau Hofmann. Die übrige Milch wurde von einem LKW abgeholt und in die Molkereien gebracht. Zur Kontrolle besaß jeder Bauer eine Stempelkarte. „Wir hatten die Kartennummer 300,“ weist die Rentnerin auf die hohe Anzahl an milchviehhaltenden Familien im Ort hin. „Zur Reinigung des Milchhäusle war stets viel Wasser notwendig,“ erinnert sie sich. „Im Winter wurde aus dem auslaufenden Wasser schnell eine spiegelglatte Eisbahn. Wir Kinder nutzen das gerne zum Hurren, dem Entlangschlittern auf der Eisbahn.
Schildkröte aus Athen
Im 2.Weltkrieg wurde der Vater zur Wehrmacht eingezogen und war in Athen stationiert. In einem seiner Briefe kündigte er an, seiner Frau und den beiden Kindern mit der nächsten Post eine Schildkröte zu schicken. Eines Tages kam das angekündigte Päckchen aus dem fernen Griechenland in Königshofen an. „Wir liefen aufgeregt in den Hof und öffnete das Päckchen ganz vorsichtig. Niemand von uns wusste, wie eine Schildkröte eigentlich aussieht. Wir hatten befürchtet, dass das Tier uns davonrennt, sobald wir die Kiste öffnen“, lacht Frau Hofmann bei der Erinnerung an dieses besondere Geschenk. Die Schildkröte hatte die lange Reise tatsächlich unbeschadet überstanden. Allerdings verbrannte sie dann 1945 bei der Bombardierung des Ortes. Den Vater sollten die Kinder nicht wiedersehen, er kam auf dem Heimweg in Albanien ums Leben.
Haus brannte komplett nieder
An die Bombardierung Königshofens erinnert sich die damals 8-Jährige noch sehr genau. „Als die Flieger kamen, band meine Mutter noch schnell die Kühe los und wir machten uns mit unseren bereits gepackten Bücherranzen auf den Weg. Leider waren der Keller des Pfarrhauses und die Kirche bereits voll. Deshalb sind wir zusammen mit einer Nachbarsfamilie die Sailtheimer Straße Richtung Wald hinausgegangen.“
Die Familien hatten Glück und konnten sich trotz Beschuss bis in den Wald und von dort nach Hofstetten durchschlagen. Bei einer Familie fanden sie Unterschlupf.
„Allerdings brannte dort ein Tag nach unserer Ankunft die Scheune nieder, so dass uns nichts anderes übrigblieb, als auf den Kartoffeln zu schlafen,“ berichtet Frau Hofmann. Acht Tage nach der Bombardierung machte sich die Mutter mit den beiden Kindern schließlich auf den Heimweg. In Marbach bekamen sie ein Ziehwägelchen mit frischer Milch, die für die Säuglinge und kleinen Kinder im ausgebrannten Königshofen bestimmt war, in die Hand.
Zuhause erwartete die Familie ein Bild der totalen Zerstörung. Wohnhaus und Scheune waren komplett niedergebrannt, bei einer Nachbarsfamilie kamen sie in einem kleinen Zimmer behelfsmäßig unter. Auf der Suche nach den losgelassenen Kühen wurde die Mutter nicht fündig. Lediglich eine alte Kuh konnte sie auf den Tauberwiesen noch ausfindig machen. Auch alle Arbeitsgeräte der Familie waren ein Opfer der Flammen geworden. „Meine Mutter machte sich daraufhin zu Fuß auf den Weg ins 7 km entfernte Dainbach und bat einen Bauern, uns mit dem Nötigsten zu versorgen,“ erinnert sich Frau Hofmann. „Und tatsächlich, am nächsten Tag kam dieser angefahren und brachte uns eine Ladung Heu und Arbeitsgeräte.“
Kinder bettelten um Essen
Auch die Kinder trieb es in den folgenden Tagen immer wieder in die umliegenden Dörfer. „Eine Handvoll von uns Königshöfer Kindern ist nach Deubach gelaufen und hat dort um Essen gebettelt. Eine Bauersfrau bat uns herein und bestrich jedem von uns einen dicken Ranken Brot mit Quark,“ erinnert sich Frau Hofmann. Auch in Sachsenflur fragten die Kinder nach Essbarem. „Ein Bauer schickte uns zunächst weg, ohne uns etwas zu geben. Auf der Rückseite des Hauses winkte uns jedoch die Bauersfrau heran und steckte uns Eier zu. Diese betteten wir in unserem Rucksack zwischen Mehl, das wir bereits erbettelt hatten.“ Noch heute empfinde sie große Dankbarkeit für diese Gaben, erzählt Frau Hofmann.
Kaum Zeit für die Schule
Zusammen mit ihren beiden Kindern baute die Mutter in der Folgezeit die Scheune wieder auf. Im Obergeschoss dienten zwei Zimmer fortan als Wohnung der Familie. „Für die Schule hatte ich nur wenig Zeit,“ erinnert sich Frau Hofmann. Die Hilfe der Kinder in der Landwirtschaft war unabdingbar. „Bereits mit 9 oder 10 Jahren musste ich allein mit den Kühen raus. Ich habe versucht, mich bei den Arbeiten immer mit meinem Bruder abzuwechseln, so dass uns noch Zeit zum Lernen blieb. In der Regel musste ich jedoch die Aufgaben morgens vor der Schule abschreiben,“ blickt die Rentnerin auf eine entbehrungs- und arbeitsreiche Zeit zurück. Hinzu kam noch, dass nach Kriegsende kaum Lehrer zur Verfügung standen. Lediglich zwei Lehrerinnen, die nicht in der NSDAP gewesen waren, wurden von den Amerikanern wieder für den Schuldienst zugelassen. Da diese in den höheren Klassen unterrichteten, mussten die unteren Klassen zwei Jahre lang mit dem Unterricht durch eine Hausfrau vorliebnehmen. Blieb neben Arbeit und Schule doch einmal Zeit zum Spielen, ging es raus auf die Gasse. Dort trieben die Kinder einen Kreisel oder eine alte Fahrradfelge mit dem Stecken an, spielten mit dem selbst zusammengenähten Lumpenball, hüpften, versteckten sich bei Räuber und Gendarm in den Scheunen oder spielten mit ihren allseits beliebten Murmeln.
Mündliche Ortsnachrichten ersetzten Zeitung
Auch an viele Kleinigkeiten des alltäglichen Lebens erinnert sich Frau Hofmann. Ein eigenes Bad war ein Luxus, über den praktisch keiner verfügte. „Zum Baden ging es ins Rathaus. Dort konnte man jeden Samstag für ein paar Pfennig in einer von sechs bereitgestellten Wannen baden“, erinnert sich die Königshöferin. Die eingebrachten Feldfrüchte lagerten viele Bauern in der Nachkriegszeit mangels eigener Lagerplätze im Dachgeschoss des Schwesternhauses. „Wenn man nicht aufpasste, nahm der eigene Haufen schnell ab“, berichtet die Königshöferin.
Da sich nur die wenigstens in der Nachkriegszeit eine Zeitung leisten konnten, wurden die Ortsnachrichten mündlich verkündet. Jeden Sonntag saß der Ratsschreiber nach dem Gottesdienst bei offenem Fenster im angrenzenden Schulhaus und verkündete die wichtigsten Nachrichten. „Da konnten dann auch solche Nachrichten wie „weißes Huhn mit roter Fußmarke gesucht“ dabei sein.“