Gerlachsheim, Dunakömlöd, Vertriebene, Geschichte, Heimat, BlickLokal

Von Dunakömlöd nach Gerlachsheim – Vertriebene berichten

Gerlachsheim. Theresia Lang, Hans Csech und Theresia Rebhan sitzen in gemütlicher Runde im Lang’schem Wohnzimmer in Gerlachsheim zusammen. Wir sprechen über ihre Lebensgeschichten, ihre Jugend in der ‚alten‘ Heimat Dunakömlöd in Ungarn, ihre Umsiedlung nach Deutschland und das Leben in der ’neuen‘ Heimat im Taubertal. 70 Jahre nachdem sie ihre ungarische Heimat verlassen mussten, sind die Erinnerungen der drei gleichaltrigen Freunde lebendig wie je zuvor, Anekdoten, Gesichter, Namen und Erinnerungen reihen sich aneinander. Donauabwärts, Richtung des ehemaligen Jugoslawien, im Tolnauer Land, liegt die Heimat von Theresia Lang, Hans Csech und Theresia Rebhan. Zusammen sind sie im Dorf Dunakömlöd in Ungarn, das vollständig von Deutschstämmigen besiedelt war, aufgewachsen. Weite, ebene Flächen und hervorragende Bedingungen für den Ackerbau waren die landschaftlichen Merkmale ihrer Heimatregion. Die drei Freunde wuchsen mit der deutschen Sprache, eigenen Traditionen und Bräuchen auf. Ungarisch lernten sie erst in der Schule.

Umsiedlung von heute auf morgen
Dass sie ihre Heimat jemals verlassen müssen, konnten sich die jungen Heranwachsenden wohl kaum vorstellen. Vom 2. Weltkrieg bekamen sie, abgesehen vom Militärdienst der Väter, recht wenig mit. Im Frühjahr 1946 kam es jedoch anders als gedacht. Nachdem die Siegermächte bereits auf der Potsdamer Konferenz im Juli und August 1945 die Umsiedlung der Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn beschlossen hatten, wurde diese Entscheidung nun auch für die Bewohner des Dorfes Dunakömlöd Realität. „Innerhalb von 1 ½ Stunden mussten wir aus den Häusern raus“, erinnern sich die drei. An der nächstgelegenen Bahnstation ging der organisierte Transport in die neue Heimat per Eisenbahn los. Zu je 32 Personen seien sie in unterschiedlichen Waagons untergebracht gewesen. „In meinem Waagon waren es allein 17 Kinder“, erinnert sich Theresia Lang an die beengte Fahrt nach Deutschland. 12 Tage, vom 01. bis 12. Juni, seien sie unterwegs gewesen. Frischluft war Mangelware, Toiletten gab es keine. Dennoch sind sich die drei einig, dass die Ungarn sie bei dem Transport nicht schlecht behandelt haben. „Uns Jungs hat es Spaß gemacht, wir dachten, das wird ein Ausflug und saßen auf den Dächern der Waagons“, schildert Hans Csech seine Erinnerungen an die Fahrt. Erste Station in Deutschland war Passau. Dort stand zunächst einmal Entlausung auf dem Programm. Große Augen bekamen die Kinder und Jugendliche, als sie das erste Mal die Alpen erblickten, kannten sie doch aus der Heimat nur flache Ebenen. Schließlich gelangten sie nach Würzburg, wo sie vom Deutschen Roten Kreuz versorgt wurden. Auch hier wurden die Augen der Heimatvertriebenen wieder groß, als sie die zerstörte Stadt sahen – aus ihrer Heimat kannten sie auch das nicht.

Durchgangslager Gerlachsheim
Die letzte Etappe der Reise führte die Dünakömloder schließlich per Pferdewagen in das ehemalige Kloster Gerlachsheim, das neben dem Reinhardshof in Wertheim als eines von zwei Durchgangslagern in der Region, diente. In Gerlachsheim erwarteten sie ungewohnte Verhältnisse. Geschlafen wurde auf Stroh und Heu, ein Bad gab es nicht, lediglich ein Raum, in dem man abgespritzt wurde. „Wir durften zehn Tage lang das Kloster nicht verlassen. Unter dem Vorwand eines Ruhrfalls wurde Quarantäne verhängt. Im Grunde wollten sie jedoch nur, dass nicht noch mehr Flüchtlinge dem Kloster zugewiesen werden,“ blickt Theresia Lang zurück. Insgesamt wuchs die Bevölkerung im Landkreis Tauberbischofsheim von 56.650 Personen im Jahr 1993 auf 80491 Personen im Jahr 1950.

Verteilung auf Ortschaften
Das Durchgangslager in Gerlachsheim war für die Neuankömmlinge allerdings nur ein kurzer Zwischenstopp, bald stand die Verteilung auf die umliegenden Ortschaften an. „Einigen war Gerlachsheim zu klein, sie wollten lieber in die Stadt und gaben deshalb Bobstadt als Wunschort an“, lacht Hans Csech bei der Erinnerung an manch kuriose Entwicklung. Seine Großeltern, seine Mutter, seine zwei Geschwister und er blieben dagegen in Gerlachsheim und bewohnten zusammen zwei kleine Zimmer. Er selbst fing schon bald nach seiner Ankunft bei einem Gerlachsheimer Unternehmen an und war für dieses bei Aufräumarbeiten in Würzburg im Einsatz. Noch im selben Jahr begann er im dortigen Betrieb auch eine Lehre als Maurer. Theresia Lang landete mit der Uroma, den Eltern und der Schwester in Lauda. Dort bezogen sie ein Zimmer in einer Eisenbahnerwohnung. Der Vater dagegen hatte im Krieg einen Steckschuss erlitten und war als Lungenkranker aufgrund der Ansteckungsgefahr ganze vier Jahre im Caritas-Krankenhaus in Bad Mergentheim untergebracht.
Theresia Rebhan verschlug es nach Krensheim, wo sie den Juli und August über für einen Bauern arbeitete. Bis ins Frühjahr 1947 pendelte auch sie täglich nach Würzburg, um dort bei Aufräumarbeiten tätig zu sein. Rebhan hielt es jedoch nicht lange in der Gegend, verschiedene Arbeitsstationen, u.a. in Wertheim und Stuttgart folgten. Erst mit 38 Jahren fand sie den Weg zurück nach Gerlachsheim, heiratete, bekam drei Kinder und arbeitete fortan in Bad Mergentheim.

Immer in Kontakt geblieben
„In Lauda hatten wir kaum mit Einheimischen Kontakt. Die Jugend von Dunakömlöd kam dagegen oft zusammen“, berichtet Theresia Lang von der ersten Zeit. Auch Theresia Rebhan bestätigt dies: „ Wir gingen immer nach Zimmern und Messelhausen zu anderen Heimatvertriebenen.“ Theresia Lang kehrte mit ihrer Heirat, ihr Mann stammt ebenfalls aus Dunakömlöd, und dem anschließendem Hausbau 1961 nach Gerlachsheim zurück. 1963 eröffneten die Langs ihr eigenes Baugeschäft. Hans Csech ist mittlerweile ebenso wie Theresia Lang ein Gerlachsheimer Urgestein, seit seiner Ankunft 1946 arbeitete er nur ein Jahr in Konstanz, ansonsten blieb er dem Ort treu. Seine Brötchen verdiente er schließlich 40 Jahre lang in einer Wertheimer Firma. Auch heute noch kommen die ehemaligen Bewohner Dunakömlöds viel zusammen, die Bande sind eng. Auch ihre „alte“ Heimat haben sie mittlerweile oft besucht. Ihren Kindern und Enkelkindern haben sie von der Zeit in Ungarn, dem turbulenten Jahr 1946 und ihrer Anfangszeit in der „neuen“ Heimat erzählt. So sollten die interessanten und einmaligen Erinnerungen an diese Zeit zumindest teilweise auch in der Zukunft weiterleben können.

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