Trotz Krankheit: Oberickelsheimer Künstler verwandelt Alltagsgegenstände in Kunstwerke – humorvoll, tiefsinnig, inspirierend

Oberickelsheim. Der einstige Rothenburger Frank Gebhardt (48) lebt heute in Oberickelsheim, vor etwa 10 Jahren erkrankte der ehemalige Automechaniker plötzlich an Parkinson. Der Grund ist bislang unbekannt. Anstatt sich mit seinem dramatischen Schicksaal abzufinden, sieht der Künstler die neue Situation als Chance. Jetzt hat er genug Zeit, um seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Geschickt kreiert er aus banalsten Alltagsgegenständen aussagekräftige Kunstwerke – ganz wichtig: Ein lustiger Gag oder eine tiefsinnige Botschaft dürfen nie fehlen.

Stolz präsentiert der Künstler seine Fahrradketten-Uhr.

Gemeinsam mit seiner Frau lebt der Künstler in Oberickelsheim, auf den ersten Blick scheint im Hause Gebhardt alles ganz normal zu sein – doch der Schein trügt… „Muffin gefällig?“, fragt Gebhardt und deutet gleichzeitig auf einen Schoko-Muffin, welcher ansprechend auf einem Teller platziert bereitliegt. Nichts Böses ahnend wird die Einladung bereitwillig angenommen. Doch kaum zugegriffen und schon fährt der Schreck durch alle Knochen. Aus einem Lautsprecher in der Ecke ertönt plötzlich eine Frauenstimme. „Willst du wirklich noch einen nehmen?“, fragt diese eindringlich und weist darauf hin, dass immer noch die Möglichkeit besteht, das Gebäck zurückzulegen oder es jemand anderem am Tisch anzubieten. Weiterhin betont die Stimme die hohe Kalorienzahl und erläutert die konkreten Inhaltsstoffe. Ursprünglich entwarf Gebhardt das Kunstwerk für eine Frau, welche an einem Diätprogramm teilnahm – heute ziert es seinen Wohnzimmertisch. Eine ähnliche Überraschung wartet im Gäste WC, beim betätigen des Seifenspenders fängt dieser auf einmal an zu sprechen. Wer sich einfach nur schnell die Hände waschen will hat sich zu früh gefreut.

Feuerlöscher mal anders genutzt.

Stilvoll: Teekannen-Seifenspender.

„Nicht zurückdrehen…“

Gebhardts „Schatzkammer“ befindet sich im ersten Stock, dort hat er zwei Räume, wo er seine Kunstwerke lagert und ausstellt. Bereits auf dem Weg dorthin passiert man im Treppenhaus eine Sammlung selbst gebauter Uhren. Uhren, so erklärt er, hätten es ihm besonders angetan – kein Wunder also, dass diese in allen erdenklichen Varianten vorhanden sind: Ob aus Tellern, Suppenschüsseln, Schallplatten, Sägeblättern und Messerklingen, Tablettenpackungen, Fahrradketten oder alten Kassetten, Gebhardts Fantasie kennt diesbezüglich keine Grenzen. Die Symbolik hinter den Werken allerdings reicht oft weitaus tiefer als man denken mag. Man möchte meinen: Lustige Idee, eine Pendeluhr aus Sägeblättern – doch Gebhardt beschreibt den Hintergrund. „Man sollte diese Uhr nie zurückdrehen. Das kann Schmerzen verursachen. Genauso ist es mit dem Leben…“, eine tiefe Aussage. Insbesondere in Anbetracht der Lebensumstände des Künstlers. Mitten im Leben erhielt er die Diagnose: Parkinson. Seine erste Ehe ging daraufhin in die Brüche, erst letztes Jahr heiratete er erneut. Seit Ausbruch der Krankheit ist seine Bewegungsfähigkeit eingeschränkt, oft kann er sich nur gebückt, mit schlürfender Gangart fortbewegen. Ein Bein hinter sich herziehend. Plötzlich fängt seine Hand an zu zittern. Das Sprechen ist nur stotternd möglich.

Nicht „Tastatur“, sondern „Tastauhr“.

Krankheit als „Chance für Neues“

Trotz alledem strahlt Gebhardt eine Lebensfreude aus, welche allzu selten zu finden ist. So sagt er selbst, dass er nur „momentan Parkinson“ hat und gibt die Hoffnung auf völlige Genesung nicht auf. Er sieht die Krankheit nicht nur als Einschränkung, sondern auch als „Chance für Neues“. So habe sich dadurch beispielsweise sein Bekanntenkreis verändert oder auch hat er neue Hobbys gefunden. Besonders gerührt beschreibt er folgendes Erlebnis: Einmal war er unterwegs zu einem Basar, auf dem Weg dorthin kam er mit einigen Jugendlichen ins Gespräch, welche von seinem Auto, einem leistungsstarken schwarz-weißen Ford Mustang, fasziniert waren. Rasch wendete sich das Thema weg vom Auto in Richtung seiner Krankheit, es stellte sich heraus, dass einer der Jungen Epilepsie hatte. Am Ende des gemeinsamen Weges verabschiedete er sich mit den Worten: „Frank, du bist ab jetzt mein großes Vorbild, ich will werden wie du!“ Diese Aussage habe ihn tief bewegt. Tatsächlich sollten sich viele Menschen Frank Gebhardt zum Vorbild nehmen, trotz der widrigen Umstände, sieht er das Positive und Schöne am Leben. Unermüdlich ist er, wenn es darum geht, Neues zu erlernen, der „Reiz des Unbekannten“ treibt ihn an, sich auf immer neue Abenteuer einzulassen. Allein in den letzten Jahren hat er Nähen, Töpfern oder Uhrenmachen gelernt. „Als nächstes will ich mich etwas genauer mit Glasschmelzen auseinandersetzen.“

„Ich werde jetzt mal Nutella kritisieren. Man kann dieses Thema nicht ewig totschweigen. Ich finde es eine Frechheit, dass eine Suppenkelle nicht in die Öffnung eines Nutella-Glases passt.“

Lachen muss sein

Ziel seiner Kunst ist es „Menschen zum Lachen zu bringen“, erklärt Gebhardt. „Ich gehe nie ins Bett, bevor nicht jemand über mich gelacht hat“, so sein alltäglicher Grundsatz. Die meisten seiner Werke spiegeln seinen trockenen, raffiniert durchdachten Humor wieder. Sei es das mit unzähligen Bananenaufklebern bestückte Holztablett als Parodie auf „Apple-Tablets“, die Original Haribo Goldbären-Packung worin sich ein Gramm echtes Gold befindet, die zur Deckenlampe umfunktionierte Metall-Wärmflasche oder ein Beautykoffer für Männer, bestehend aus diversem Werkzeug in einem aufklappbaren Benzinkanister. Auch mit Riechsalz für schlecht anspringende Autos sei gedient.

Gesund als Clown

Doch seine künstlerische Ader entdeckte Gebhardt schon lange vor dem Auftreten seiner Krankheit. Bereits in jungen Jahren begann er Kleinkunst zu betreiben. Im bunten Clownskostüm liebt er es vor Publikum zu jonglieren oder wackelige Balancier-Kunststücke zu vollbringen. Auch für ein beschwingtes Ständchen auf seiner Ziehharmonika ist das allround-Talent jederzeit zu haben. Dennoch stößt er auch auf Widerstand. Im Rahmen eines „Patienten für Patienten“ Programms wollte er 2016 in einem Kasseler Krankenhaus als Unterhalter auftreten. Aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung hat man ihm den Auftritt verwehrt. Kurzerhand packte Gebhardt sein Clownskostüm und trat in der Kasseler Innenstadt vor einer Gruppe Obdachloser auf. Diese waren so begeistert, dass sie am Ende einen Hut herumreichten. „Diese 70 Cent von damals sind ganz besonders für mich und ich werde sie immer in Ehren halten!“ Auch wenn Gebhardt immer wieder Rückschläge erfährt und manche Menschen ihm Prügel zwischen die Beine werfen, er gibt nicht auf in seinem Kampf, die Welt zu einem besseren und vor allem fröhlicheren Ort zu machen.

Das faszinierende: Sobald der Künstler in seinem Kostüm steckt und vor Leuten auftritt, ist die Krankheit wie verflogen. Keine Aussetzer oder Sprachprobleme. „Würde ich morgen im Rahmen eines Auftritts vor dir stehen, könntest du nicht glauben, dass ich derselbe Mensch bin.“, versichert Gebhardt und fährt fort, dass er des öfteren komplette Tage ohne jegliche Symptome hatte – immer dann, wenn er als Clown die Menschen erheitern durfte.

Die perfekte Uhr für alle Weinliebhaber…

„Freeze“ kein Hindernis

Altes Kaffee-Service umfunktioniert.

Letztendlich sind es also nicht nur die handgefertigten Kunstwerke von Gebhardt, welche sein Werk prägen – die musizierenden Geldbeutel aus Milchkartons, Lampen aus Geschirr, Seifenspender aus Getränkedosen, in Türstopper umfunktionierte Handys, der Benzinkanister Trolley-Koffer, ein Sägeblatt-Wäscheständer oder ein anderes seiner zahlreichen Werke. Vielmehr ist er es selbst, als Person, die Teil seines künstlerischen Werkes ist. Seine Art und Weise durchs Leben zu gehen, sind Aussage genug – jegliche erklärende Worte überflüssig. Sein optimistisches Leuchten lässt er sich nicht nehmen. Und wenn, wie es ab und an der Fall ist, wieder einmal ein krankheitsbedingter Aussetzer eintritt, Gebhardt ist gewappnet. Amüsiert erklärt er: „Ich habe stets eine Fernbedienung bei mir, damit ich im Freeze-Zustand einfach auf weiter drücken kann.“ Als Freeze-Zustand bezeichnet man bei Parkinson-Patienten die plötzlich auftretenden Blockaden, sodass diese wie „eingefroren“ sind.

Damit man beim Telefonieren nie die Zeit aus den Augen verliert…

 

Text: Amos Krilles

Fotos: Amos Krilles/ Frank Gebhardt

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