Rothenburg (pm). Als sich im März 1923 der Rothenburger Künstlerbund konstituierte, einte die Künstler kein gemeinsames Kunstprogramm, sondern in Zeiten der Krise nach dem Ersten Weltkrieg ging es um einen Verein, der gemeinsame Marktinteressen erhalten und wahrnehmen wollte. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert war Rothenburg ob der Tauber zeitlich befristet oder wie bei dem Briten Arthur Wasse (1854 – 1930) auf Dauer Ziel von Malern gewesen. Maler hatten die Stadt regelrecht entdeckt und ihre romantische Stimmungshaftigkeit weltberühmt gemacht. Für gegenständliche, mehr noch naturalistische Kunst gab es bei den Besuchern Rothenburgs einen prosperierenden Markt. Die naturalistischen Tendenzen des Künstlerbunds brachten ihn in keinen Konflikt zum NS-Regime, im Gegenteil Peter Philippi wurde 1940 mit einer Großen Kunstausstellung in München gewürdigt, Ernst Unbehauen stellte sich sogar in den Dienst antisemitischer Agitation. Das Ende des Zweiten Weltkrieges machte im März 1946 eine Neugründung erforderlich. Die Zweite Generation des Rothenburger Künstlerbunds um die Maler Willy Förster, Franz Bi, Max Ohmayer und Hans Prentzel engagierte sich stark im Wiederaufbau der teilweise zerstörten Altstadt und half entschieden mit, das stimmige Gesamtbild der mittelalterlichen Stadt zu wahren.
1952 trat Heiner Krasser (1927 – 2005) dem Rothenburger Künstlerbund bei. Sein Werdegang – Reichsarbeitsdient, Fronteinsatz und Kriegsgefangenschaft – und insbesondere seine Ausbildung (Studium an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg) machen ihn zu einem exemplarischen Vertreter der dritten, eher skeptischen Generation des Rothenburger Künstlerbunds. Max Ohmayer war ihm ein Tutor, indem er Heiner Krasser „die Bedeutung des malerischen Zeichnens, das Erkennen der Tonwerte, das Kalt und Warm des Atmosphärischen und die ersten Gehversuche im Ölmalen“ vermittelte. (Zitat aus dem Künstlerporträt „Heiner Krasser“ im Fränkischen Anzeiger vom 6. / 7. Januar 1973)
Heiner Krasser spezialisierte sich in seinem künstlerischen Schaffen auf die Bildgattungen der Landschaftsmalerei und der floralen Stillleben. Zieht man die vormoderne Gattungshierarchie zu Rate, so rangieren beide Bildgattungen traditionell unterhalb von Historienbild, Porträt und Genrebild. Wenn hier von skeptischer Generation die Rede ist, so ist die Wahl dieser „niederen Gattungen“ bereits Ausdruck einer Weltskepsis, die auf höhere Sinnangebote bewusst verzichtet. Als künstlerische Position kommt dies einem „postmodernen Stop Making Sense“ avant la lettre gleich. Auf eine dezidiert naturalistische, sehr einfühlende Weise hat sich Heiner Krasser den Themen der Natur zugewandt. Heiner Krasser brillierte, im pastosen Pinselstrich durchaus vom Impressionismus beeinflusst, in der Darstellung von Feldblumensträußen sowie in der Wiedergabe fränkischer, mediterraner und oberbayerischer Landschaften. Erinnern die lichtdurchfluteten mediterranen Landschaften noch entfernt an das klassische Landschaftsbild (bis weit in das 19. Jh. galt die italienische Campagna als klassische Landschaft schlechthin), so erinnern die fränkischen Landschaften mit ihrer stillen Melancholie an entfernte Einflüsse der niederländischen Landschaftsmalerei, an John Constable und an die Schule von Barbizon.
„Stillleben und Landschaften“ wird die erste große Retrospektive auf das Werk Heiner Krassers sein: Gezeigt werden insgesamt 40 Werke, darunter ca. 10 Stillleben, 35 Landschaften und fünf Kupferdrucke. In enger Zusammenarbeit mit der Enkelin Stefanie Friedlein und dem Sohn Harald Krasser wird der Entstehungsprozess eines Kunstwerkes anschaulich rekonstruiert. Es wird eine repräsentative Werkschau zu sehen sein, die nicht allein den Ersten Vorsitzenden des Rothenburger Künstlerbunds von 1972 bis 1992 ehrt, sondern am Rande auch den Rothenburger Kunstmarkt würdigt.
Heiner Krassers Stillleben und Landschaften werden vom 23. September 2023 bis zum 1. Mai 2024 im Sommerrefektorium des RothenburgMuseums zu sehen sein.
Bereits jetzt vormerken: Im Rahmen der erfolgreichen Reihe „Kunst sehen und verstehen“ werden Harald Krasser und Stefanie Friedlein am Sonntag, den 28. April 2024, um 11 Uhr durch die Sonderausstellung führen und insbesondere einen persönlichen Blick auf Vater und Großvater werfen.
Foto: Feldblumenstrauß von Heimer Krasser. Foto: Carmen Hiller