MUNDARTWEG: Nadine Strauß bringt den Besuchern den Dertinger Dialekt näher

Das Interview führte
Anja Öttl

BlickLokal: Wie sind Sie auf die Idee des Mundartwegs gekommen?

Nadine Strauß: In einer Fernsehsendung Ende November habe ich von einem Mundartweg gehört. Da sind bei mir alle Hirnsynapsen in Wallung geraten und ich habe mich gefragt: Warum bitte, haben wir in Dertingen denn noch keinen Mundartweg?

BlickLokal: Was zeichnet den Dertinger Dialekt aus? Was ist das Besondere daran?

Nadine Strauß: Es ist ein Stück unserer Identität. Er gehört zu uns wie die Wehrkirche und der Wein. Er ist ein Teil von uns. Besonders? Ist er wahrscheinlich nicht. Denn auch Oberbayern und Sachsen haben einen besonderen Dialekt – und er bedeutet überall auf der Welt dasselbe: Heimat.

 

Nadine Strauß auf dem Mundart-Weg in Dertingen. Foto: Nadine Strauß

BlickLokal: Warum beschäftigen Sie sich mit dem Dialekt? Was ist das Interessante dabei? Was macht Ihnen daran besonders Freude?
Nadine Strauß: Begonnen hat meine Arbeit mit dem Dertinger Dialekt schon vor mittlerweile 15 Jahren. Es gab immer wieder mal Leute, die gesagt haben, man müsste solche Worte, Redewendungen und Geschichten aufschreiben, bevor „die Alten“ aussterben und man nicht mehr nachfragen kann. So begann meine Reise durch den Dertinger Dialekt – mit meinen Dialektwörterbüchern „Dâs khört uffgschriewa“. Hier ist der Name Programm, denn genau darum ging es „Das muss notiert werden“. Es sind mittlerweile drei Wörterbücher erschienen mit insgesamt über 1200 Worten, dazu u.a. Sagen, Lieder oder Kochrezepte. Die Steigerung dazu waren zwei Dialekthörbücher. Zwangsläufig mit dem Titel „Dâs khört khört“ – das muss man hören. Verschiedene Dertinger Bürger haben Texte im Dialekt eingesprochen, die man auf einer CD hören kann. Dazu gibt es ein Büchlein, in dem man hochdeutsch mitlesen kann.
Die Kür des Ganzen ist jetzt der Dertinger Mundartweg. Und was mir daran besonders Freude macht? Wenn es anderen Freude macht. Ich habe Spaß daran, zu recherchieren, mich mit Leuten auszutauschen, mir Konzepte zu überlegen, mich an der Gestaltung von Büchern oder Tafeln auszuprobieren. Das ist mein Ding. Natürlich auch die Erhaltung eines Stücks Kulturgut. Ich bringe mich gerne in meinem Ort ein und das ist es, was ich ganz gut kann. Und logisch – am schönsten ist es, wenn jemand sagt: Das ist Dir echt gelungen. Darüber freue ich mich.

BlickLokal: Ist Dialekt „in“?

Nadine Strauß: Ja, es kommt immer drauf an, was man daraus macht. Das war mir sehr wichtig. Es muss Spaß machen, es muss lustig sein und ansprechend. Man muss auch überhaupt nicht alles verstehen. Aber man kann Spaß daran haben – wenn man will.

BlickLokal: Wie gestaltete sich für Sie die Umsetzung des Mundart-Weges? Welche Arbeiten standen an? Wie wurde das Projekt finanziert? Gab es Unterstützer? Sponsoren?

Nadine Strauß: Für mich war das alles ziemlich einfach. Wenn ich erstmal Feuer gefangen habe, ist meine Euphorie nicht mehr einzufangen und ich habe Unmengen Ideen. Der Lockdown tat sein Übriges dazu. Unserem Ortsvorsteher, der auch Vorstand des Wein- Obst- und Gartenbauvereins ist, habe ich mein Konzept vorgestellt und die ersten Mustertafeln gezeigt. Er war sofort einverstanden damit und wir haben gemeinsam am Weg nach geeigneten Plätzen gesucht. 15 haben wir bei der ersten Begehung ausgemacht und ich dachte da schon „Ob ich wohl so viele Ideen zusammenbekomme“.
Naja, mittlerweile ist noch eine Gasse dazu gekommen und es sind 22 Schilder geworden. Dieser Verein wurde dann auch Träger des Projekts und von dort erhielt ich auch Hilfe beim Aufstellen der Schilder. Klar war natürlich, dass das jemand bezahlen muss und dass das nicht die öffentliche Hand sein wird. Aber dass das in Dertingen kein Problem sein wird, habe ich mir schon gedacht. Ich habe problemlos Sponsoren gefunden – meistens Gewerbetreibende – die auch auf den Tafeln genannt sind. Die Anwohner muss ich auch mal erwähnen – die waren auch Unterstützer des Projekts und haben mir Scheunenwände oder einen Platz für einen Stickel zur Verfügung gestellt. Zwei Freunde halfen mir beim Internet, den QR-Codes und bei Aufnahmen im Tonstudio. Von der ersten Idee bis zum Aufstellen der Tafeln dauerte es drei Monate.

BlickLokal: Wie ist der Mundartweg aufgebaut?

Nadine Strauß: Wir haben einen wunderschönen Spazierweg entlang des Aalbachs mit Blick auf die Weinberge des Mandelbergs. Ca. 600 Meter lang, eben, geteert. Für Rollatoren und Kinderwägen geeignet. Der perfekte Weg ohne Autoverkehr. Auf diesen 600 Metern sind 22 Tafeln verteilt. In ziemlich regelmäßigen Abständen, wo auch immer sich eine Möglichkeit zum Aufstellen oder Aufhängen bot.Es gibt einen Flyer zum Dertinger Mundartweg in dem alles beschrieben ist. Man findet ihn auch unter www.weinort-dertingen.de/mundartweg.

BlickLokal: Wie sind die Tafeln gestaltet?

Nadine Strauß: Die Tafeln haben alle dasselbe Grundgerüst; sind aufgeteilt in ein Hauptthema und das untere Viertel ist für die Kinder reserviert. Dieser Teil heißt auch (meistens) „föa die Kinn“ (für die Kinder) – wenn er nicht gerade „neas föa die Kinn“ (nichts für die Kinder) heißt, weil es die Tafel zum Thema Wein ist und im unteren Teil die verschiedenen Rauschzustände zu erkennen sind.
Manchmal heißt es auch „nid bloas föa die Kinn“, (nicht nur für die Kinder) weil sich auch Erwachsene bitte unbedingt meine Version von „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ anhören sollen, die in Dertingen jetzt „Die Weibrinzessin un die siewa Winzer“ heißt. „Hören“ ist das Stichwort – auf sieben Tafeln sind QR-Codes abgedruckt, die den Besucher zu verschiedenen Audio- oder Filmdateien führen, die den Dialekt hörbar machen.
Hier gibt es beispielsweise die Weihnachtsgeschichte im Dertinger Dialekt, ein altes Dertinger Märchen oder auch ein Handspiel für Kinder. Jede Tafel ist absolut einzigartig. Mir war wichtig, dass sich jedes Schild grundlegend vom anderen unterschiedet. Dass man wirklich Lust hat, bei der nächsten Tafel wieder stehen zu bleiben und sich aufs Neue darauf einzulassen. Viele Bilder sind zu sehen, denn nichts ist schlimmer, als wenn es den Charakter eines Vokabelheftes hat. Der Dertinger Mundartweg ist bunt und fröhlich und soll einfach Spaß machen. Themen sind beispielsweise die Kirchweih, Obst und Gemüse, backen, ein Quiz oder das Leben einer Tischdecke.

BlickLokal: Seit wann gibt es den Weg?

Nadine Strauß: Wir haben Ende Februar die Schilder aufgestellt. Ich wollte unbedingt ein Eröffnungsfest machen, aber das war ja nicht möglich. Aber mit dem Aufstellen zu warten, bis man wieder ein Fest machen kann …. So haben wir jetzt in Dertingen ein kleines Freiluft-Dialekt-Museum, das man auch in diesen Zeiten besichtigen kann. Und vielleicht gibt’s irgendwann doch noch ein Fest.

BlickLokal: Welche Zielgruppe sprechen Sie mit dem Mundart-Weg an?

Nadine Strauß: Da will ich mich nicht festlegen. Denn es sind definitiv nicht nur Dertinger, die das interessiert. Durch meine langjährige Beschäftigung mit diesem Thema weiß ich, wie viele Leute sich für Dialekt interessieren. Und es sind auch nicht nur Erwachsene oder gar Senioren. Gerade Kinder haben Spaß daran – die können es zwar nicht aussprechen, finden es aber superlustig. Was will man denn mehr? Und tatsächlich wurden auch schon Teenager gesehen – die hätte nicht mal ich zu meiner Zielgruppe gezählt – aber ich habe sie herzlich aufgenommen.

BlickLokal: Gibt es ein Feedback der Nutzer?

Nadine Strauß: Ja, das gibt es und das freut mich am allermeisten. Es ist schön, wenn die Besucher ihre Freude mit mir teilen. Es gibt mittlerweile am Weg auch ein Gästebuch, in das sich die Gäste eintragen dürfen. Das wird auch angenommen.Es sind die kleinen Geschichten, die es ausmachen. Letztens hat mir eine Mutter erzählt: „Meine Tochter wollte unbedingt wissen, wie ein „Riewalasblââtz“ (Hefekuchen auf dem Blech mit Streuseln) schmeckt“.
Also hat sie einen gebacken. Oder die Oma, die mir erzählt hat, dass sie mit ihrem vierjährigen Enkel die Farben studiert hat und er mit Freude und Wonne ihr alles nachgesprochen hat. Oder die Geschichte von dem Kind (5 Jahre), dessen Uroma in Dertingen wohnt und von seiner Mama – die nie in Dertingen gewohnt hat – auch ein paar Dialektwörter beigebracht bekommen hat und unbedingt der Uroma voller Stolz die Worte „Houaranesdl“ (Wespe) und „Schâafmöallaszalâd“ (Feldsalat) sagen wollten. Dafür mache ich das – genau dafür!

BlickLokal: Die Wörterbücher und Hörbücher kann man ja bei Ihnen erwerben. Haben Sie sich vielleicht auch in Sachen Mundartweg etwas Derartiges überlegt?

Nadine Strauß: Ja, es gibt ein Heft in A4 mit dem Titel „Der Dertinger Mundartweg föa dahämm“ – also „für zu Hause“. Darin sind alle Tafeln enthalten. Für alle, die sich das gerne daheim nochmal in Ruhe anschauen wollen, für die, die nicht kommen können oder auch als Geschenk. Das Heft ist bei mir erhältlich. Alle Infos auf: www.weinort-dertingen.de/mundartweg.

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