EU-Projekt unter Bad Mergentheimer Leitung legt Leitlinien und Training vor

Bad Mergehtheim. Die Zahl junger Menschen, die Beratung oder therapeutische Hilfe brauchen, steigt. Doch wie lassen sich junge Leute, die Beratung oder therapeutische Hilfe benötigen, am besten errei-chen? Smartphones und online-Angebote über Soziale Medien sind eine große und bislang kaum genutzte Chance. Die europäische Initiative „Therapy 2.0“ entwickelte Leitlinien und Trainingsmaterialien für Jugendberater, Therapeuten, Lehrkräfte und Menschen engagiert in der Flüchtlingsarbeit. Koordiniert wird „Therapy 2.0“ von der Bad Mergentheimer media k GmbH.
„Die Zeiten, in denen Beratung und Therapie ausschließlich in persönlichen Gesprächen stattfanden, sind vorbei“, so media k Gmbh-Geschäftsführerin Dr. Karin Drda-Kühn, ansonsten bestehe die Gefahr, dass junge Menschen nicht ausreichend erreicht werden können. Denn sie haben ein grundlegend anderes Kommunikationsverhalten, das vor allem Smartphones und online-Medien wie Whatsapp, Facebook, Twitter und Skype selbstverständlich einbezieht und eine Ergänzung der mündlichen Kommunikation ist. Wer also junge Leute beratend und therapeutisch erreichen will, muss sich damit auseinander setzen und steht vor vielen Fragen des Daten- und Vertrauensschutzes, der Praktikabili-tät und Ethik.

Zunahme psychischer Erkrankungen bei jungen Menschen

Wie dringlich dieser Ansatz ist, beweist der Arztreport der Barmer Krankenkasse 2018: Er belegte aufgrund einer Erfassung von Daten aus 2005 – 2016, dass psychische, psychosoziale und psycho-somatische Störungen wie Depressionen, Angstzustände oder Panikstörungen bei jungen Menschen zunehmen. In Deutschland beispielsweise wurde zwischen 2005 und 2016 ein Anstieg der Zahl der
18- bis 25-Jährigen mit psychischen Erkrankungen und Störungen um 38% von 1,4 auf 1,9 Millionen beobachtet. Das bedeutet, dass im Jahr 2016 etwa 25% dieser Altersgruppe in Deutschland von einer psychischen Erkrankung bedroht oder betroffen waren.
Der Arztreport kam zu dem Schluss, dass mehr niedrigschwellige Formen wie Online-Angebote not-wendig sind, um psychische Erkrankungen und Störungen zu verhindern und junge Erwachsene zu erreichen, die bereits unter Depressionen oder Ängsten leiden. Online-Angebote entsprechen den Gewohnheiten der „Smartphone-Generation“.

Online-Hilfe für junge Menschen – Chancen und Grenzen

„Genau genommen stehen wir hier vor einer enormen sozialpolitischen Aufgabe“, so Drda-Kühn. Seit 2016 hat deshalb ein Team von europäischen Experten aus Universitäten, Beratungseinrichtungen, psychischen Krankenhäusern, Sozialdiensten und mobilen Anwendungsentwicklern die Initiative „Therapy 2.0 – Counselling and Therapeutic Interaction with Digital Natives“ umgesetzt. Ziel war es, das Bewusstsein für die Potenziale von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in The-rapie- und Beratungsprozessen zu schärfen. Die Ergebnisse sollten Praktiker unterstützen, ein poten-zielles Defizit an visueller oder verbaler Kommunikation in Beratung oder Therapie zu vermeiden.
Die Verbreitung, Vereinfachung und Kosteneffizienz von internetbasierten (online-)Diensten hat die Möglichkeiten für Spezialisten in Beratung und Therapie deutlich erweitert. Dennoch ist die Integration von IKT in Beratung und Therapie in vielen europäischen Ländern noch nicht gut entwickelt. Während es in Ländern wie Kroatien oder Slowenien bereits ausgefeilte Online-Beratungsstrukturen gibt, sind zum Beispiel in Deutschland Beratungs- und Therapieangebote meist konventionell.

Neue Anforderungen an die Beratungs- und Therapiepraxis

Berater und Therapeuten, die über Online-Angebote nachdenken, stehen vor zahlreichen Fragen: Wie viel direkte oder indirekte Unterstützung wollen oder müssen sie ihren Kunden und Patienten geben? Wie viel Zeitflexibilität wird von ihnen erwartet und wie kann diese erfüllt werden? Sollen sie in syn-chroner (‚Echtzeit‘) oder asynchroner (verzögerter) Zeit kommunizieren? Was sind die Vorteile und möglichen Einschränkungen der online-basierten Kommunikation? Welche Angebote sind für welche Beratungs- oder Behandlungsformen geeignet? Wo liegen die Grenzen der Online-Beratung und -Therapie?
Neben technischen Fragen stellen sich auch praktische Fragen: Wie sicher sind Online-Angebote in Bezug auf Datenschutz und Vertraulichkeit? Wie hoch sind die Kosten? Welche Abrechnungsarten stehen zur Verfügung? Nicht zuletzt stehen auch ganz grundsätzliche Fragen der Gesundheitsversor-gung im Raum: Werden damit zum Beispiel Versorgungslücken geschlossen?

Online-Potenziale nutzen

Folgende Instrumente wurden entwickelt, die sofort in Beratung und therapeutische Praxis eingebun-den werden können:
– Leitlinien, die es Beratern und Therapeuten ermöglichen, ihre Kompetenzen in der persönlichen Beratung und Therapie auf eine Online-Umgebung zu übertragen;
– Schulungsmaterialien zur Ergänzung der Leitlinien: Sie beinhalten verschiedene Sensibilisierungs-, Trainings- und Demonstrationseinheiten für Berater und Therapeuten;
– eine Sammlung von weltweiten Praxisbeispielen;
– eine elektronische Plattform als virtuelle Lernumgebung, auf der alle Projektmaterialien zur Ver-fügung gestellt und durch interaktive Dienste wie den Zugang zu Foren, Blogs, Social-Networking-Anwendungen und Chatrooms ergänzt werden.
– mobile Anwendungen (Apps) aller Materialien für mobile Endgeräte (Smartphones und Tablets).
Alle Materialien und Instrumente sind kostenlos erhältlich unter https://www.ecounselling4youth.eu.

Junge Flüchtlinge erreichen
Ein solcher online-Ansatz soll auch jungen Flüchtlingen zugutekommen. Die meisten von ihnen haben traumatische Erfahrungen gemacht, und viele von ihnen leiden an posttraumatischen Belastungsstö-rungen. Ihre wichtigsten Kommunikationsmittel sind Smartphones. Angesichts der Tatsache, dass ihre Sprachkenntnisse des Gastlandes oft noch schlecht sind, braucht die konventionelle „Sprachberatung“ einen komplementären Ansatz, der Medien nutzt, in denen diese Jugendlichen zu Hause sind. Nicht zuletzt eröffnet dies auch Wege der Gewaltprävention, die mit traumatischen Fluchterfahrungen zu-sammen hängen können.

Bad Mergentheimer Firma leitet Therapy 2.0-Initiative

Die Bad Mergentheimer media k GmbH koordiniert die „Therapy2.0“-Initiative seit 2016, unterstützt aus dem europäischen ERASMUS+ – Programm. Dr. Karin Drda-Kühn: „Mit diesen Materialien bieten wir Beratern und Therapeuten nun die kostenfreie Möglichkeit, mehr über online-Beratung und –Therapie für junge Menschen zu erfahren und sich damit weiterzuqualifizieren.“ Die Materialien wur-den bereits in sieben europäischen Ländern getestet („durchweg erfolgreich“). Nun hoffe sie, „dass die Materialien möglichst vielen Fachleuten zur Fortbildung dienen“.
Kontakt: Dr. Karin Drda-Kühn, Tel. 07931-99 27 30; therapy2.0@media-k.eu