Fachtagung zum Ausbau der Windkraft in Wertheim

Wertheim. Bund und Land treiben den Ausbau der Erneuerbaren Energien voran. Sie geben ehrgeizige Zeit- und Flächenziele vor und beschleunigen die Planungs- und Genehmigungsverfahren. Dazu wurden eine Reihe neuer Gesetze erlassen, mit deren Auswirkungen auf Wertheim sich rund 40 Kommunalpolitikerinnen und -politiker am Samstag in der Main-Tauber-Halle befassten. Sie waren der Einladung der Stadt zur Fachtagung Windkraft gefolgt. Klar ist: Der Handlungsspielraum der Kommunen bei Ausweisung von Flächen für Erneuerbare Energien wird künftig begrenzt sein. „Deshalb tun wir gut daran, eine aktive Haltung einzunehmen und die Möglichkeiten zu nutzen, die wir noch haben,“ gab Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez die Richtung vor. Die Energiepolitik sei – beschleunigt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine – im tiefgreifenden Wandel begriffen. Die Grundüberzeugung, die in der veränderten Politik von Bund und Land zum Ausdruck komme, laute: „Erneuerbare Energien sind ein unverzichtbarer Beitrag zur Sicherstellung der Energieversorgung“. Und der OB fügte hinzu: „Dem können wir uns in Wertheim nicht verschließen“. Bislang habe man Windkraft bezogen auf einzelne Vorhaben diskutiert. Jetzt betreffe die Aufgabe die Gesamtstadt, so Herrera Torrez. Das spiegelte die Zusammensetzung der Fachtagung in der Main-Tauber-Halle wieder: Neben den Mitgliedern des Gemeinderats hatte die Verwaltung dazu auch alle Ortsvorsteher sowie die Ortschaft- und Stadtteilbeiräte eingeladen. Zum tiefgreifenden Wandel gehört, dass die Kommunen es künftig nicht mehr selbst in der Hand haben, ob, wo und wieviel Flächen sie zur Nutzung für Windenergie und Photovoltaik ausweisen. Künftig liegt die Planungshoheit bei den zwölf Regionalverbänden im Land. Sie sollen sicherstellen, dass 1,8 Prozent ihrer Regionsfläche für die Windkraft bis Ende 2032 zur Verfügung stehen. Das Flächenziel für Photovoltaik ist noch nicht festgelegt.

Wird das Ziel von 1,8 Prozent verfehlt, gilt Windenergie im gesamten Planungsraum als privilegiert. Das würde für Wertheim bedeuten, dass Windkraftanlagen im gesamten Gemarkungsgebiet grundsätzlich zulässig sind, solange keine anderen rechtlichen Belange wie zum Beispiel Naturschutz entgegenstehen. Eine planerische Steuerung der Standorte durch die Kommune wäre dann nicht mehr möglich. Das Heft des Handelns für Wertheim hat also jetzt der Regionalverband Heilbronn-Franken in der Hand. Im Rahmen der Fachtagung erläuterte Verbandsdirektor Klaus Mandel, wie herausfordernd die Aufgabe ist. Ballungsräume wie Heilbronn täten sich naturgemäß schwerer als dünn besiedelte Landstriche wie der Main-Tauber-Kreis. Das Ziel von 1,8 Prozent Windenergiefläche müsse deshalb nicht in jeder einzelnen der 111 Kommunen in Heilbronn-Franken, sondern bezogen auf die gesamte Region erreicht werden. Aufgabe des Regionalverbands sei es nun, einen verlässlichen Planungskorridor für die Ausweisung von Windkraftflächen zu entwickeln und diesen mit konkreten Kriterien zu unterlegen. Dabei müssten Abstandsflächen zu Wohngebieten festgelegt und der Umgang mit Natur- und Artenschutz sowie mit Denkmalschutz geregelt werden. Auch militärische Belange seien zu berücksichtigen, denn ein Fünftel der Region lägen im Bereich der Tiefflugstrecken des Heeresflugplatzes Niederstetten, so der Verbandsdirektor.

Das weitere Verfahren sieht laut Mandel vor, dass der Regionalverband, sobald die Ausschlusskriterien festgelegt sind, pro Gemeinde eine Flächenkulisse für Windkraft in zwei Szenarien – mit und ohne Flugzonen – erstelle. Diese Flächenkulisse will man bis Mitte nächsten Jahres vorlegen und dann mit den Kommunen diskutieren. Bis Ende 2025 soll die Planung Rechtskraft erlangen. Eindringlich plädierte der Verbandsdirektor dafür, „die Priorisierung der Erneuerbaren Energie nicht als Last und Bürde, sondern als Chance anzusehen“. Im wirtschaftsstarken Land Baden-Württemberg steige der Strombedarf, während die Produktion sinkt. Dass der Ausbau beschleunigt werden müsse, sei also keine ideologische Frage, sondern eine Notwendigkeit zur Standortsicherung. Mit seinem Plädoyer verband Klaus Mandel den Appell: „Lassen Sie uns zusammenarbeiten und gemeinsam den größtmöglichen Nutzen für die Menschen in unserer Region und für die Wirtschaft erzielen.“

Daran knüpfte Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez unmittelbar an: „Die Stadt Wertheim will sich beteiligen und einbringen.“ Er stellte fünf Prämissen vor, die der Stadt bei der Ausweisung von Windenergieflächen wichtig sind: Städtische Flächen sollen Vorrang haben, die Wertheimer Stadtwerke sollen möglichst mit im Boot sein, man bevorzuge lokale und regionale Investoren, die Bürger sollen sich beteiligen können, und der erzeugte Strom soll möglichst in den lokalen Verbrauch fließen. Für diese Prämissen erhielt der Oberbürgermeister ebenso Zustimmung wie für den Vorschlag, die Strategiegruppe Windkraft zu erweitern. Sie war 2020 zur Begleitung des Repowering-Projekts Höhefeld gegründet worden. Künftig soll sie alle Planungen im Stadtgebiet in den Blick nehmen. Dazu wird sie auf alle Ortsvorsteher und Stadtteilbeiratsvorsitzenden erweitert. Die Vertreter der Gemeinderatsfraktionen gehören der Strategiegruppe weiter an, ebenso die Stadtwerke und die Naturschutzverbände Bund und Nabu. Das Forum Energiedialog wird die Stadt beim Thema Windenergieausbau auch in Zukunft begleiten. Eine der ersten Aufgaben der erweiterten Strategiegruppe wird sein, eigene Kriterien für die Bewertung von Windenergieflächen zu erarbeiten. Außerdem soll sie Vorschläge entwickeln, wie die Bürgerschaft informiert wird, sobald sich die Planung konkretisiert. „Wir rechnen mit den ersten Eckpfeilern des Regionalverbands im ersten Halbjahr 2023“, gab OB Herrera Torrez einen zeitlichen Ausblick. „Sobald wir greifbare Informationen haben, wollen wir damit in die Ortschaften gehen.“ Transparenz bleibe das oberste Ziel, sicherte er abschließend zu.

Im Rahmen der vierstündigen Fachtagung stellte Fachbereichsleiter Armin Dattler nochmals die fünf Standorte vor, die derzeit auf Wertheimer Gemarkung für die Windkraftnutzung in Rede stehen. Die beiden Vorrangflächen Höhefeld und Dertingen addieren sich auf 1,1 Prozent der Gemarkungsfläche. Daneben liegen der Verwaltung Anfragen für drei weitere Areale vor: im Schenkenwald, an der Kreismülldeponie und nahe dem Gewerbegebiet Reinhardshof. Dattler rechnete „ganz grob“ zusammen: „Wenn diese Vorhaben realisiert würden, kämen wir in Wertheim auf 4 Prozent Windenergieflächen.“

Bilduntertext: Klaus Mandel, Direktor des Regionalverbands Heilbronn-Franken, erläuterte bei der Fachtagung Windkraft die Folgen der neuen Gesetzgebung. Foto: Stadt Wertheim