Zukunftsforscher Erik Händeler: „Weniger arbeiten, um länger arbeiten zu können.“

Rothenburg. Religiöse und kulturelle Werte werden in der Zukunft die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen bilden. Davon geht Erik Händeler aus. Als Journalist, Wirtschaftsexperte und Zukunftsforscher warf er beim IHK-Jahresempfang einen ungewohnten Blick auf aktuelle Entwicklungen in der Arbeitswelt. Kann es wirklich sein, dass seelische Gesundheit und ein respektvolles Miteinander der Schlüssel zu Profit und Wohlstand sein werden?

Dr. Gerhard Walther, Vorsitzender des IHK-Gremiums, begrüßte die Anwesenden und gab einige einleitende Worte zum Besten.

Der IHK-Jahresempfang fand heuer am 19. Februar in 11. Auflage statt. Zahlreiche Vertreter aus Wirtschaft und Politik waren anwesend. Eröffnet wurde dieser durch den IHK-Gremiumsvorsitzenden Dr. Gerhard Walther. In seiner Ansprache lobte Walther jüngste Entwicklungen, welche nicht zuletzt das Ergebnis einer guten und engen Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft sind, so habe man „gemeinsam einiges geschafft“.  In diesem Sinne nannte er die Investitionen in das Gastronomische Bildungszentrum, den neuen Hochschul-Campus, sowie die äußerst erfolgreiche Ausbildungsmesse in der neuen Mehrzweckhalle. Ganz besonders freue ihn der Beginn der Erschließung des neuen Rothenburger Gewerbegebietes. Auch kulturell könne man einiges vorweisen, so zum Beispiel das Toppler-Theater oder den Theatersaal im Wildbad, dessen „einmaliges Ambiente“ ihn immer ganz „besonders rührt“. Dort kamen die rund 150 geladenen Gäste zusammen. „In den letzten 10 Jahren ist mir die Themenwahl noch nie so schwergefallen wie für den heutigen Abend“, erklärt Walther. Trotz Hochkonjunktur und Vollauslastung stehe man vor Herausforderungen. Es herrscht eine gewisse Unsicherheit. „Hinter vorgehaltener Hand erzählen mir Unternehmer immer wieder, dass sie nur darauf warten, dass etwas passiert. Es könne ja nicht ewig so weiter gehen.“, so der Gremiumsvorstand. Man spüre, dass manches aus dem Ruder zu laufen scheint. Altbewährte Systeme würden nicht mehr funktionieren. Die Frage, ob es gelingt „mit unseren heutigen Fertigkeiten die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen“ spiele eine große Rolle. „Vordergründig läuft alles auf Hochtouren, hinter den Kulissen jedoch braut sich etwas zusammen“, zieht er das Fazit und stellt gleichzeitig die Frage in den Raum, ob diese Situation in einem größeren Kontext nicht völlig normal sei. Dies zu beantworten oblag nun Erik Händeler.

Erik Händeler (1969) ist Wirtschaftsexperte, Journalist und Zukunftsforscher. Unter anderem wurde er 2011 mit der Auszeichnung in Bronze des wirtschaftswissenschaftlichen Institutes der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau ausgezeichnet. Er gilt als ausgewiesener Experte und Kenner der Kondratieff-Theorie.

Lange Wellen

Händeler gilt als ausgewiesener Kenner der Kondratieff Theorie der langen Wellen, anhand welcher er erklärt, weshalb momentane wirtschaftliche und geopolitische Entwicklungen nichts Außergewöhnliches sind. Gleichzeitig skizziert er in seinem Vortrag „Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen“ wie man eine bevorstehende Krise umsteuern könnte. Der russische Ökonom Kondratieff (1892-1938) machte einst die Beobachtung, dass sich die die Wirtschafft in Zyklen von etwa 40 bis 60 Jahren auf und ab bewegt. Die Geschichte belegt, dass ein Aufschwung stets mit der Erfindung einer revolutionären technischen Erfindung in Verbindung stand (z.B. Dampfmaschine, Eisenbahn/Massentransport, Elektrizität usw.). Solange die Unternehmer und die Wirtschaft von der modernen Technik profitieren lohnen sich Investitionen. Man nimmt selbst hohe Zinsen in Kauf, da die neue Technik dennoch höhere Gewinne erwirtschaftet. Der Wohlstand steigt. Doch irgendwann sind durch das Eisenbahnnetz alle Gewerberäume verbunden und Fabriken weitestgehend elektrifiziert – was nun? Die Unternehmer haben nichts mehr, wofür es sich lohnt, rentabel zu investieren. Die Nachfrage nach Kapital sinkt und so auch die Zinsen. Folge ist ein Bauboom und Konsum, welchen sich auch ärmere leisten können. Das freie Geld fließt in Vermögensgüter und lässt die Preise von Aktien, Gold und Immobilien steigen. Irgendwann platzt diese Blaße (z.B. Black Friday 1929). Händeler hält es für nicht unwahrscheinlich, dass sich ein ähnliches Szenario bald erneut zuträgt.

Mit großem Interesse verfolgten die Zuhörer den Vortrag. Der ungewohnte Ansatz des Referenten regte zum Nachdenken an.

„Wissen effizienter nutzen“

In der jüngsten Vergangenheit war es der Computer, welcher die Wirtschaft voranbrachte, Produktionsabläufe optimierte und somit Kosten einsparte. „Noch schnellere Computer, machen uns nicht noch produktiver“, ist Händeler jedoch der Meinung. Um einen erneuten Aufschwung herbeizuführen müsse man nun die momentan größte Knappheit erkennen – den nächsten wirtschaftlichen Flaschenhals. „Als Transport das größte Problem war musste die Eisenbahn gebaut werden, durch die Wissensflut war es der Computer, welcher vorangebracht werden musste“, erklärt er. „Zum ersten Mal in der Geschichte stehen wir nun jedoch vor einer immateriellen Knappheitsgrenze.“ Der Ansicht des Zukunftsforschers nach handelt es sich hierbei um einen Mangel an ausreichend effizienter Informationsarbeit. Vorhandenes Wissen müsse besser genutzt werden. „Die Arbeit in der gedachten Welt muss weitaus Produktiver gestaltet werden, als es heute der Fall ist.“

Teamarbeit zerschlägt Hierarchien

In der heutigen Zeit wird manuelle Arbeit zunehmend von Maschinen übernommen, gleichzeitig wird Arbeit immer komplexer und man benötigt Spezialisten für jedes Fachgebiet. „Die geistige Leistung von Menschen ist der Grund, weshalb komplizierte Maschinen funktionieren“, so Händeler. „Arbeit in der gedachten Welt bedeutet jetzt eine Wertschöpfung zu leisten: planen, organisieren, entwickeln, analysieren und entscheiden, sowie verstehen, was der Kunde meint.“ Es gehe darum in einer gigantischen Wissensflut möglichst effizient Informationen herauszusuchen, welche für Problemlösungen gebraucht werden.

Herkömmliche Strukturen und Hierarchien würden in diesem System nicht mehr funktionieren. „Es geht nicht mehr so sehr um Einzelleistungen wie früher, sondern um die Produktivität von Gruppen, um deren Fähigkeit zur Zusammenarbeit.“ Je nach tagesaktuell benötigter Fachkompetenz, wechselt die Wichtigkeit der einzelnen Mitarbeiter im Betrieb. Man müsse lernen zusammenzuarbeiten, über Rangordnungen hinwegzusehen und akzeptieren, dass man nicht immer das Sagen hat – auch wenn man formal der Chef ist.

Gut gefüllt war der Theatersaal im Wildbad.

Profitable Gesundheit

Wohlstand in der Zukunft würde von der Fähigkeit der Menschen mit Wissen umzugehen bestimmt. „Umgang mit Wissen bedeutet stets Umgang mit Menschen“, somit seien auch Konflikte vorprogrammiert. „Konflikte und Spannungen in Unternehmen kosten nicht nur Zeit und Geld, sondern machen auch krank.“ Gesundheit, so denkt Händeler, sei der nächste große Flaschenhals – die größte wirtschaftliche Knappheit. „Gut ausgebildete Fachkräfte sind mittlerweile Mangelware, man kann es sich nicht mehr leisten, diese zu verlieren.“ Die Lösung sei ein präventives Gesundheitssystem: weniger arbeiten, um länger arbeiten zu können und ein flexiblerer Arbeitsmarkt. Hierbei gehe es nicht in erster Linie um materielle, vielmehr um seelische beziehungsweise psychosoziale Gesundheit. „Wir brauchen eine Arbeitswelt, wo man gesund alt werden kann.“ Mobbing am Arbeitsplatz und verhärtete Fronten verhindern effizienten Wissensfluss – eine Tatsache, welche Geld kostet. Unter dem ökonomischen Druck der Wissensgesellschaft, würden Unternehmen in Zukunft gezwungen sein, Sozialnormen zu entwickeln, welche ein konstruktives Zusammenarbeiten trotz Interessenskonflikten möglich machen. Eine gute „Streitkultur“ sei Voraussetzung. Die Qualität unserer Streitkultur ist eng verknüpft mit dem jeweiligen Weltbild der Menschen, welches durch grundlegende religiöse Vorstellungen geprägt ist. Somit würde in Zukunft ein globaler „Religionswettbewerb“ stattfinden, welcher nicht durch „Kalaschnikows oder Theologen“ entschieden wird, sondern dadurch, welche Religion besser „miteinander kooperieren kann“. Der ökonomische Wettbewerb der Zukunft wird über Kultur und Religion entschieden.

Auch das leibliche Wohl durfte nicht zu kurz kommen – das Buffet lud ein, den Abend bei Häppchen und guten Gesprächen ausklingen zu lassen.

Im Nachhinein hatten die Anwesenden die Möglichkeit, das Gespräch mit Erik Händeler zu suchen und dessen Bücher zu erwerben – am besten gleich mit einer ernstgemeinten „Die Welt wird besser“ Widmung.

 

Text/Fotos: Amos Krilles

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